Ulrich Bücholdt

Bauhistoriker, M.A. – dwb, GWWG, GBTG

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Datenbank zur Bau- und Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts für den deutschsprachigen Raum

 


Dipl.-Ing.  /  Dr.-Ing.  /  Dr.-Ing. E.h.


 

Die akademischen Grade
Dipl.-Ing. (Diplom-Ingenieur)
Dr.-Ing. (Doktor-Ingenieur)
Dr.-Ing. E.h. (Doktor-Ingenieur Ehren halber)

wurden eingeführt:
– im Königreich Preußen (betreffend alle preußischen Technischen Hochschulen) per Erlass vom 11.10.1899,
– im Großherzogtum Hessen-Darmstadt (betreffend die TH Darmstadt) am 25.11.1899,
– im Großherzogtum Baden (betreffend die TH Karlsruhe) am 10.01.1900,
– im Königreich Sachsen (betreffend die TH Dresden) am 12.01.1900 (zunächst nur Dipl.-Ing.?),
– im Königreich Württemberg (betreffend die TH Stuttgart) per Verordnung vom 22.01.1900,
– im Königreich Bayern (betreffend die TH München) per Verordnung vom 10.01.1901.

 


Zu diesem Thema klärt das
Jahrbuch des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine e.V. 1931
in einem redaktionellen Text auf Seite 62 seine Leser wie folgt auf:

 

(Zitat Anfang)
Der akademische Grad Dipl.-Ing.
Der Ursprung des Akademischen Grades Dipl.-Ing. geht auf einen „Allerhöchsten Erlaß“ des Königs von Preußen vom 11. Oktober 1899 zurück, der anlässlich der Hundertjahrfeier der Technischen Hochschule Berlin am 19. Oktober 1899 verkündet wurde.

 

Auf den Bericht vom 6. d. Mts. will ich den Technischen Hochschulen in Anerkennung der wissenschaftlichen Bedeutung, welche sie in den letzten Jahrzehnten neben der Erfüllung ihrer praktischen Aufgaben erlangt haben, das Recht einräumen:

 

1. auf Grund der Diplom-Prüfung den Grad eines Diplom-Ingenieurs (abkürzte Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dipl.-Ing.) zu erteilen;

 

2. Diplom-Ingenieure auf Grund einer weiteren Prüfung zu Doktor-Ingenieuren (abgekürzte Schreibweise, und zwar in deutscher Schrift: Dr.-Ing.) zu promovieren, und

 

3. die Würde eines Doktor-Ingenieurs auch Ehren halber als seltene Auszeichnung an Männer, die sich um die Förderung der technischen Wissenschaften hervorragende Verdienste erworben haben nach Maßgabe der in der Promotionsordnung festzusetzenden Bedingungen zu verleihen.

 

Neues Palais, den 11. Oktober 1899.
gez.  Wilhelm R.
ggez.  Studt

 

Danach waren zunächst für Preußen für die Akademischen Grade Dipl.-Ing. und Dr.-Ing. eindeutige Bestimmungen hinsichtlich ihres Inhaltes und ihrer Schreibweise getroffen. Zwanglos folgt aus diesen Bestimmungen, daß auch für die Würde eines Doktor-Ingenieurs Ehren halber die gleiche Schreibweise bindend ist, daß seine Abkürzung also richtig und sinngemäß nur Dr.-Ing. E. h. lauten kann.

Es liegt im Interesse des Standes der technischen Akademiker, der deutschen Diplom-Ingenieure, daß sie ihren Akademischen Grad, der, mangels einer anderen Kennzeichnung, zugleich auch ihre Standesbezeichnung ist, nicht nur zur Geltung bringen, sondern auch richtig anwenden. Akademische Grade gehören zum Namen, und zwar „stets vor den Namen der Inhaber“, wie beispielsweise der Preußische Unterrichtsminister in einer Verfügung vom 8. Januar 1909 den Rektoren der Technischen Hochschulen darlegte.
(Zitat Ende)

 

 

Am 25.11.1899 zog das Großherzogtum Hessen-Darmstadt nach, das allerdings im Gegensatz zum Flächenstaat Preußen nur eine Technische Hochschule, nämlich in Darmstadt, besaß. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein vollzog diesen Schritt bei einem Festakt an seinem 31. Geburtstag, der in der Technischen Hochschule stattfand. Knapp sieben Monate später, per Beschluss vom 06.07.1900, wurde der Großherzog dann auch gleich der erste Ehrendoktor „seiner“ Hochschule. Beide Ereignisse sind vor dem Hintergrund der Darmstädter Künstlerkolonie zu sehen, die Ernst Ludwig 1899 ins Leben rief, und die von den an der Technischen Hochschule lehrenden Architekten teilweise als Konkurrenz gesehen wurde. Zu den ersten beiden regulär promovierten Doktor-Ingenieuren der TH Darmstadt gehörte am 08.03.1902 dann auch der Architekt Ernst Vetterlein (1873-1950), der als Assistent an der Architektur-Abteilung tätig war und später auch Ordinarius wurde.

 

 

Versehen mit dem Autoren-Kürzel „St.“ veröffentlichte die Deutsche Bauzeitung in ihrer Ausgabe vom 13.12.1899 mehrere Fragen zu den Regelungen des Promotionsrechtes der Technischen Hochschulen mit der Einleitung:

(Zitat Anfang)
Angesichts der wenig freundlichen Aufnahme, welche die Verleihung des Promotionsrechtes an die Technischen Hochschulen Preußens und Hessens in weiten Kreisen gefunden hat, ist es doppelt bedauerlich, dass über die Aufnahme-Bedingungen als Studirender einer Technischen Hochschule und über die Vorbedingungen der Promotion eine so große Unkenntniss herscht.
(Zitat Ende)

Unklar war – nach Meinung des Autors „St.“ –, ob das Abitur auch Voraussetzung für eine Diplom-Prüfung (oder nur für die Staatsexamina) war, ob auch erstes oder zweites Staatsexamen (statt Diplom-Prüfung) den Zugang zur Ingenieur-Promotion gewähren und ob der Grad „Doktor-Ingenieur“ Architekten und Chemiker von der Promotion ausschließt. In diesem Zusammenhang wurde als Alternative der „Dr. rer. techn.“ genannt.

 

 

Alle derartigen Unklarheiten beseitigte für das Königreich Preußen am 19.06.1900 eine Ausführungs-Bestimmung des preußischen Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Konrad Studt, zur „Promotions-Ordnung für die Ertheilung der Würde eines Doctor-lngenieurs durch die Technischen Hochschulen Preußens“. Als Bedingungen für eine Promotion werden dort genannt:
- Reifezeugnis eines deutschen Gymnasiums oder Realgymnasiums oder einer deutschen Oberrealschule
- Ausweis über die Erlangung des Grades eines Diplom-Ingenieurs
- Einreichung einer in deutscher Sprache abgefassten wissenschaftlichen Abhandlung (Dissertation)
  („Dieselbe muss einem Zweige der technischen Wissenschaften, angehören, für welchen eine Diplomprüfung an der Technischen Hochschule besteht. Die Diplomarbeit kann nicht als Doctordissertation verwandt werden.“)
- Ablegung einer mündlichen Prüfung
- Entrichtung einer Prüfungsgebühr im Betrage von 240 Mark (in zwei Raten)
Nach präzisen Anweisungen zum formalen Procedere des Promotionsverfahrens – insbesondere zur mündlichen Prüfung – wiederholt am Ende der § 12 annähernd wörtlich die Aussage des Erlasses vom Oktober 1899 zur Ehrenpromotion als „seltene Auszeichnung“. Als Anlage ist ein Muster für ein „Doctor-Ingenieur-Diplom“ beigefügt.

 

 

In der österreichisch-ungarischen (kaiserlichen & königlichen) Doppelmonarchie wurde die Doktorwürde für Ingenieure mit der k. & k. Verordnung vom 13.04.1901 eingeführt, allerdings entschied man sich dort für den Terminus „doctor technicarum“, abgekürzt zu „Dr. techn.“.
(Nach anderen Quellen: „doctor rerum technicarum“ / „Doktor der technischen Wissenschaften“, abgekürzt „Dr. rer. techn.“.)

 

 

In ihrer Ausgabe vom 02.09.1903, also nicht ganz vier Jahre nach dem preußischen Erlass, berichtet die Deutsche Bauzeitung:

(Zitat Anfang)
Die Zahl der Promotionen zum Doktor-Ingenieur an den deutschen technischen Hochschulen beläuft sich nach einer Zusammenstellung des Reichsanzeigers (abgesehen von den Ehrendoktoren) bisher auf 25, von denen 13 auf Berlin, 5 auf Dresden, 5 auf Hannover, und 2 auf Aachen entfallen. Der Fachrichtung nach waren darunter: 6 technische Chemiker, 5 Maschinen-Ingenieure, 4 Hütten-Ingenieure, 3 Architekten, 2 Elektrotechniker, 2 Chemiker, je 1 Elektrochemiker, 1 Schiffbauer und 1 Bauingenieur; der Landesangehörigkeit nach: 20 Reichsdeutsche, 2 Amerikaner, je 1 Norweger, Österreicher und Rumäne.
(Zitat Ende)

Unter den hier erwähnten drei Architekten befindet sich z.B. Hermann Muthesius (1861-1927), der 1902 an der Technischen Hochschule Dresden promoviert wurde.
Freilich führt die Überschrift in die Irre. Von den deutschen Technischen Hochschulen sind in dieser Mitteilung nur vier erfasst: Aachen, Berlin, Hannover (alle im Königreich Preußen) und Dresden (im Königreich Sachsen). Es fehlen weitere fünf: München (Königreich Bayern), Stuttgart (Königreich Württemberg), Karlsruhe (Großherzogtum Baden), Darmstadt (Großherzogtum Hessen) und Braunschweig (Herzogtum Braunschweig).

 

Es überrascht daher kaum, dass die Deutsche Bauzeitung in ihrer Ausgabe vom 07.11.1903 der vorstehenden Aufzählung zumindest die Angaben einer weiteren Technischen Hochschule hinzufügt:

(Zitat Anfang)
Als Ergänzung zu unseren Mitteilungen in No. 70 der Dtschn. Bauztg. [sic!] erhalten wir von der Technischen Hochschule in Braunschweig die Angabe, dass dort bisher 10 Promotionen stattgefunden haben. Davon entfallen 6 auf Chemie, 2 auf Textilindustrie, 1 auf Elektrotechnik, 1 auf Ingenieurwesen.
(Zitat Ende)

 

 

In der Beilage ihrer Ausgabe vom 24.06.1908 berichtet die Deutsche Bauzeitung:

(Zitat Anfang)
Doktor-Ingenieure ehrenhalber. Einer durch die Tagesblätter gehenden Mitteilung zufolge wurden Doktor-Ingenieure ehrenhalber bisher ernannt: 37 in Berlin, 30 in Dresden, 18 in München, 18 in Karlsruhe, 15 in Hannover, 14 in Aachen, 12 in Darmstadt, 5 in Danzig, 3 in Braunschweig, 1 in Stuttgart.
(Zitat Ende)

 

 

Zentralblatt der Bauverwaltung 1914, Nr. 5 (17.01.1914), S. 47:

(Zitat Anfang)
Verleihung der Doktorwürde an der Technischen Hochschule in Dresden (1900 d. Bl., S. 31). Nach der Ordnung über die Verleihung der Würde eines Doktor-Ingenieurs vom 7. Juli 1905 ist die Bewerbung an die Bedingung eines Ausweises geknüpft über die Erlangung des Grades eines Diplom-Ingenieurs an einer Technischen Hochschule des Deutschen Reichs oder an der Bergakademie in Freiberg. Nachdem nun unter dem 7. September 1912 der Hochschule das Recht beigelegt worden ist, die Würde eines Doktors der Technischen Wissenschaften (doktor rerum technicarum) zu verleihen, ist in einem Nachtrag zur Promotions-Ordnung vom 1. Oktober 1912 bestimmt worden, daß bei der Bewerbung um diese Würde an die Stelle des Ingenieur-Diploms das Zeugnis über die an der Technischen Hochschule bestandene Prüfung für das höhere Schulamt tritt.
(Zitat Ende)

 

Der Freistaat Thüringen berechtigte durch einen Erlass des Staatsministeriums vom 28. Februar 1933 die „Staatlichen Hochschulen für Baukunst, bildende Künste und Handwerk“ in Weimar, den Absolventen ihrer Bauabteilung den Grad „Diplom- Architekt“ zu verleihen. Dieser Abschluss war zu dieser zeit in der deutschen Hochschullandschaft einmalig, und seine formale Gleichstellung mit den Diplom-Ingenieuren der Technischen Hochschulen wurde erst 1942 erreicht. Wenn sich Architekten vor 1933 als „Diplom-Architekt“ [Dipl.-Arch.] bezeichneten – wie es z.B. für Sepp Kaiser (1872-1936) belegbar ist –, stellt das anscheinend eine freie, formaljuristisch durchaus anfechtbare Erfindung dar und ist vermutlich als bewußte Abgrenzung zur Berufsgruppe der Bauingenieure zu deuten. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Spezialisierung des „Bauberufs“ in die Sparten Hochbau / Tiefbau / Wasserbau / Eisenbahnbau / Maschinenbau und auch die Differenzierung des Hochbaus in Bauingenieurwesen (Technik) und Architektur (Kunst) eine langfristige Entwicklung darstellt, die im 19. Jahrhundert begann. Für die Zeit um 1930 sind genügend „Architekten-Ingenieure“ bekannt, die diese Differenzierung für sich nicht vollzogen haben. Ein Beispiel dafür ist Emil Moog, dessen Schaffen – zumindest im Spiegel der bekannten Publikationen – nicht eindeutig zwischen die Pole Bautechnik und Baukunst einzuordnen ist.
(Den ersten Hinweis auf den Weimarer Sonderweg verdanke ich der Diplom-Arbeit von Arne Keilmann: „Der Architekt Ferdinand Keilmann im Systemwandel des 20. Jahrhunderts.“ Ruhr-Universität Bochum, 2001.)

 

 

Text: © 2003-2019 by Ulrich Bücholdt

 


empfohlene Zitierweise:
Ulrich Bücholdt: Dipl.-Ing. / Dr.-Ing. / Dr.-Ing. E.h. – http://www.kmkbuecholdt.de/historisches/sonstiges/Dipling1.htm (Stand vom 07.02.2022)

 

Kontakt:
Ihre Ergänzungen, Berichtigungen, Hinweise oder Fragen mailen Sie bitte an: ub@kmkbuecholdt.de

 

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